Dies kann und soll keine
künstliche Intelligenz übernehmen
Den Menschen helfen gehört zu den christlich-evangelischen Werten der Johanniter. Das Weserwirtchaftsforum sprach mit dem Regionalvorstandsmitglied in Südniedersachsen Marius Dossow über die Herausforderungen im Alter, Nachwuchskräfte und Menschenwürde und was er über künstliche Intelligenz denkt.
Marius Dossow I Mitglied des Regionalvorstandes I Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. I Regionalverband Südniedersachsen I Foto: Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.
Weserwirtschaftsforum: Herr Dossow, danke, dass Sie sich für den Weserwirtschaftsforum Zeit nehmen. Die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. haben sich 1952 in Hannover gegründet. Mittlerweile sind Sie eine internationale Organisation. Für Ihre wertvolle Arbeit braucht es viele Mitarbeiter und Nachwuchskräfte. Haben Sie eigentlich auch ein Fachkräfteproblem?
Marius Dossow: Auch wir haben in unseren verschiedenen Leistungsbereichen mit einem Fach- bzw. Nachwuchskräftemangel zu kämpfen. Besonders eklatant ist dieser in den Bereichen Pflege, Rettungsdienst und frühkindlicher Betreuung. Die Ursachen dafür sind unterschiedlicher Natur. In jedem Fall müssen wir die Menschen wieder mehr mitnehmen und für die Berufe begeistern. Dazu gehört im Wesentlichen eine Steigerung der Attraktivität dieser Berufe. Im Bereich Kita wäre beispielsweise eine verlässliche Ausbildungsvergütung ab dem ersten Tag ein guter Anfang. Die Ausbildung darf nicht an persönlichen finanziellen Herausforderungen scheitern. Daneben muss auch die Anerkennung ausländischer Abschlüsse erleichtert werden. Wir können es uns in diesen systemrelevanten Berufsbildern nicht erlauben, unattraktiv für ausländische Fachkräfte zu sein und den Eintritt in diese Berufe derart zu erschweren. Der Rettungsdienst hingegen hat insgesamt weniger Probleme Nachwuchs zu gewinnen. Vielmehr liegen hier die Herausforderungen zum einen in den Ausbildungskapazitäten, welche durch eine fehlende Gegenfinanzierung der Kostenträger nicht gesichert ist oder auch an der Limitierung der Praktikumsplätze in den Krankenhäusern. Zum anderen ist die Arbeitsbelastung durch nicht gerechtfertigte Einsätze wie sog. Bagatelleinsätze hoch und Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter wandern in andere Bereiche ab. Auch im Bereich der ambulanten Pflege stellt sich dies nicht anders dar. Hier ist sicherlich insbesondere der ländliche Raum betroffen, für diesen es dringend finanzielle und strukturelle Maßnahmen bedarf. Durch Quereinsteigerprogramme und Karriereperspektiven versuchen wir in diesem Bereich gegenzusteuern.
Weserwirtschaftsforum: Die Arbeit mit den Menschen ist immer noch eine Frage der Menschlichkeit. Wie digital sind die Johanniter und kommt bei Ihnen die künstliche Intelligenz zum Einsatz?
Marius Dossow: Unsere Leistungsbereiche sind natürlich stark geprägt vom
zwischenmenschlichen und persönlichen Kontakt. Dies kann und soll keine künstliche Intelligenz übernehmen. Künstliche Intelligenz bietet aber im Bereich der Effizienzsteigerung von Abläufen und Prozessen in der Verwaltung sicherlich viele Chancen. So könnte eine intelligente Tourenplanungssoftware für Pflegekräfte zur deutlichen Zeitersparnis führen oder auch Chatbots für erste Beratungen zu mehr Kundenzufriedenheit führen, da Wartezeiten wegfallen. Durch solche Arbeitserleichterungen bliebe wieder mehr Zeit für unsere Arbeit am Menschen, wovon nicht nur der Patient profitieren würde, sondern auch unsere Mitarbeitenden.
Weserwirtschaftsforum: Mit Erste-Hilfe-Kursen kann man nie früh genug beginnen. Sollte man bereits in der Schule einen Erste-Hilfe-Unterricht einführen. Was denken Sie?
Marius Dossow: Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass die Wiederbelebung in den Unterricht in Niedersachsens Schulen integriert wird. Wir wissen, auch aus unserer langjährigen Erfahrung aus den Schulsanitätsdiensten, dass Kinder einmal erlernte Erste-Hilfe-Maßnahmen noch Jahre später umsetzen können und so zu selbstbewussten Ersthelfern werden. Da sich der überwiegende Teil von Unfällen und Notfällen vor allem im häuslichen Umfeld ereignet, kommt eben diesen Ersthelfern eine besondere Rolle zu – insbesondere bei einem
Herzstillstand. So ist es nur folgerichtig, dass die Ausbildung junger Menschen zukünftig im Schulstoff Berücksichtigung findet.
Weserwirtschaftsforum: Deutschland ist eine reiche Industrienation mit einer sozialen Marktwirtschaft und Sozialsystem und dennoch gibt es bei uns viele notdürftige Menschen. Wie werden diese Menschen von den Johannitern unterstützt?
Marius Dossow: Wir sind schon seit vielen Jahren in der Obdachlosenhilfe engagiert. Unserem christlichen Menschenbild folgend, hat jeder Mensch das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Es ist daher nur folgerichtig und wichtig, Menschen in einer besonders verletzlichen Situation zu unterstützen und zu helfen. So engagieren wir uns zum Teil bereits schon seit 20 Jahren in der sog. Kältehilfe. Das heißt, in den kalten Wintermonaten versorgen ehrenamtliche Johanniterinnen und Johanniter obdachlose und sozial bedürftige Menschen mit warmen Essen und Trinken sowie Hygieneartikeln, Winterkleidung und anderen nötigen Dingen. Auch kleinere Verletzungen können durch unsere sanitätsdienstlich geschulten Ehrenamtlichen versorgt werden. Aber auch die zwischenmenschlichen Kontakte sind nicht zu unterschätzen. Neben der Kältehilfe betreiben wir in Hannover auch eine Obdachlosenunterkunft für Drogenabhängige mit 76 Plätzen. Die Einrichtung verfügt über 38 Doppelzimmer, die fast durchgehend belegt sind. Sie wird von einem engagierten Team von
Sozialarbeitenden betrieben, welche durch eine akzeptierende Drogenhilfe unterstützen, aber auch in anderen Bereichen des Lebens, wie Behördengängen, helfen.
Weserwirtschaftsforum: Altersarmut, steigende Beiträge und Inflation – davon sind gerade ältere Menschen betroffen. Vor welchen Herausforderungen stehen wir im Bereich Pflege und Wohngemeinschaften?
Marius Dossow: Wir sind der Ansicht, dass vor allem ein wesentliches Augenmerk auf den ambulanten Bereich gelegt werden sollte. Hier sind sicherlich die sogennante Wohngemeinschaften zu erwähnen, bei denen die Pflegebedürftigen möglichst
selbstbestimmt und ihrer individuellen und wechselnden Bedürfnisse entsprechend betreut werden. Jedoch stehen genau dies
Wohngemeinschaften aktuell durch ein Ungleichverhältnis in der Finanzierung im Vergleich zum vollstationären Bereich vor erheblichen Herausforderungen. Hier muss die Politik zeitnah nachjustieren.
Das Interview führte Joel Cruz