Er ist der gesündeste Politiker
Ja, Einwanderung und Integration gab es schon immer in Deutschland, in Niedersachsen und in der Weserregion. Unabhängig von der Art und Weise, sind wir seit Jahrhunderten ein Zu- und Abwanderungsland. Integration hat Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt, auf die Wirtschaft, Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit einer Region. Wir sprachen mit dem Migrationsbeauftragen des Landes Niedersachsen Herrn Deniz Kurku über die Herausforderungen, Chancen und Potenziale von Einwanderung.
Deniz Kurku I Niedersächsischer Landesbeauftragter für Migration und Teilhabe
Niedersächsische Staatskanzlei I Foto: Stk.Nds/Migrationsbeauftragter
Weserwirtschaftsforum: Herr Deniz Kurku, danke, dass Sie sich für das Weserwirtschaftsforum und seine Fragen Zeit nehmen. Wie wollen Sie konkret sicherstellen, dass die Stimmen von Migrantinnen und Migranten bei politischen Entscheidungen in Niedersachsen stärker Gehör finden?
Deniz Kurku: Als Landesbeauftragter setze ich mich dafür ein, dass Menschen mit Zuwanderungs- oder Vertriebenenbiografie in Niedersachsen faire Chancen haben, bei uns Fuß zu fassen und teilzuhaben. Ich verbinde Zivilgesellschaft, Kommunen und Land und bringe Impulse aus der Praxis direkt in die Politik und die Ministerien ein. Mit meinem Team organisiere ich Fachdialoge und eigene Formate, stärke
Engagement mit Preisen und Schirmherrschaften und trete für mehr Teilhabe in Verwaltung, Politik und Bildung ein. Gleichzeitig trage ich meinen Teil dazu bei, dass die Erinnerungskultur in unserem Land bewahrt wird. Das ist besonders für die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler wichtig, für die ich ebenso zuständig bin. Nicht zuletzt werden viele Einzelfälle zu Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsfragen an mich herangetragen. Für diese Fülle von Aufgaben, die ich selbst ehrenamtlich ausübe, steht mir ein Team zur Seite, das als Referat in der Niedersächsischen Staatskanzlei angesiedelt ist.
Weserwirtschaftsforum: Angesichts Ihres erklärten Ziels, die Flüchtlings- und
Asylpolitik zu humanisieren: Welche konkreten Veränderungen streben Sie in der Praxis an – etwa im Umgang mit Abschiebungen oder in der Unterbringung Geflüchteter?
Deniz Kurku: Als unabhängiger Landesbeauftragter gehöre ich nicht der Landesregierung an, stehe mit vielen ihrer Ministerien und Behörden aber in einem vertrauensvollen Austausch – so z.B. mit dem Innenministerium und der Landesaufnahmebehörde
Niedersachsen. Sie ist für das Ankommen, die Unterbringung wie auch für die Rückführungen von schutzsuchenden Menschen zuständig. Hier sind mir rechtssichere Abläufe und eine frühzeitige Information der Betroffenen wichtig, damit
diese über ihre Perspektiven im Klaren sind. Auch müssen Geflüchtete mit Bleibeperspektive möglichst früh Zugang zu Integrations- und Sprachangeboten erhalten, um ihre Zeit und Potenziale sinnvoll nutzen zu können.
Bei allem ökonomischen Kalkül dürfen wir hier aber nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, indem wir verkennen: Es kommen nicht nur Arbeitskräfte, es kommen in erster Linie Menschen, die als solche wie alle anderen auch behandelt werden wollen. Dieser Grundsatz der Menschenwürde ist und bleibtin Niedersachsen unumstößlich.
Weserwirtschaftsforum: Wirtschaftlicher Erfolg und gesellschaftlicher Zusammenhalt hängen von einer guten Integrationspolitik ab. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Integration in Niedersachsen erfolgreich gelingt?
Deniz Kurku: Das geht bekanntlich nicht von heute auf morgen. Viele verschiedene Faktoren spielen da eine Rolle, je nachdem, mit welchen Voraussetzungen und Kenntnisse die Menschen zu uns kommen. Drei Faktoren sind aber generell entscheidend: Sprache, Bildung und Arbeit. Sprachförderung muss früh ansetzen – in Kitas, Schulen und Integrationskursen. Genauso wichtig sind Bildungs- und Qualifizierungsangebote. Niedersächsisc Unternehmen, besonders im Handwerk und in der Pflege, suchen weiterhin
Fachkräfte. Der Bedarf ist real, ebenso aber auch das Potenzial der Menschen, die bereits hier leben. Bereits jetzt sind knapp 13 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Land ausländische Arbeitskräfte – sie tragen also maßgeblich zum Beschäftigungszuwachs bei.
Es braucht aber auch weniger Bürokratie, schnellere Anerkennung ausländischer
Abschlüsse und mehr Unterstützung für Betriebe bei der Integration. Selbstverständlich sind darunter auch viele, die von Migrantinnen und Migranten
selbst geführt werden. Gleichzeitig müssen Kommunen, Vereine und Nachbarschaften ineinandergreifende Strukturen schaffen, damit Zugewanderte soziale Netzwerke aufbauen können. Integration funktioniert also nur im Miteinander – wenn Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam Verantwortung übernehmen.
Weserwirtschaftsforum: Welche Rolle spielt die Landesregierung bei der Gestaltung von Integrationsprozessen?
Deniz Kurku: Die Landesregierung setzt in erster Linie den politischen und rechtlichen Rahmen für die Integrationsarbeit, die in Niedersachsen vor Ort geleistet wird.
Dabei arbeitet sie eng mit Kommunen, freien Wohlfahrtsverbänden, Bildungseinrichtungen und Vereinen zusammen. Das Land setzt aber auch wichtige Programme auf. Nehmen wir das Beispiel der Fachkräftegewinnung. Die so genannten „Start Guides“ bringen Zugewanderte und Unternehmen zusammen und helfen dabei, Hürden beim Einstieg in Ausbildung oder Arbeit zu überwinden. Sie beraten zu Bewerbungen, Sprachförderung oder Anerkennung von Abschlüssen und sorgen so für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben. Ergänzend dazu gibt es die „Welcome Center“ in verschiedenen Regionen, die internationale Fachkräfte beim Ankommen begleiten – von der Wohnungssuche bis zu Fragen rund um Aufenthalt und Familie. Hier hilft auch die neue Zentralstelle für das beschleunigte Fachkräfteverfahren in Niedersachsen, die am 1. Juli 2025 ihre Arbeit aufgenommen hat. Das Ziel ist klar: Niedersachsen will und muss für Fachkräfte aus aller Welt noch attraktiver werden.
Weserwirtschaftsforum: In den Medien liest man, dass Sie der gesündeste Politiker sind. Wie wurden Sie im Rahmen des Schulprojekts „Kunst auf Rezept“ zum gesündesten Politiker Delmenhorsts gekürt – und welche Botschaft steckt hinter der
„Junior-Behandlung“?
Deniz Kurku: Ja, das war eine tolle Aktion der Jugendkunstschulen in Niedersachsen, die auch in „meiner“ Stadt Delmenhorst stattfand. Das Projekt „Kunst auf Rezept“ hat auf kreative Weise gezeigt, wie wichtig seelische Gesundheit und gesellschaftlicher
Austausch sind. Bei der „Junior-Behandlung“ haben mich die Kinder untersucht, „Diagnosen“ gestellt und mir dann eine ganz persönliche „Medikation“ verabreicht. Das war nicht nur rührend und hilfreich, sondern hat auch eine Menge Spaß gemacht. Der Kontakt zu jungen Menschen ist für meine Arbeit ganz wichtig, ob als Kommunal- oder Landespolitiker. Ihre Sicht auf Politik, Zukunft und Zusammenleben sollten wir viel mehr beherzigen und ernst nehmen. Das täte allen sicher gut, nicht nur der Politik. Wer könnte uns besser zeigen, wie man Zukunft gestaltet, als die, die sie leben werden?
Weserwirtschaftsforum: Herr Deniz Kurku, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Joel Cruz