Die Jugend wird
zunehmend wichtiger
Der demografische Wandel und alternde Bevölkerung hat mit alten Denkweisen und Vernachlässigung der Jugend zu tun. Das muss jedoch nicht sein. Wir sprachen mit der Vorstandssprecherin des Landesjugendring Niedersachsen e.V. Regina Gehlisch.
Regina Gehlisch I Vorstandssprecherin I Landesjugendring Niedersachsen e.V. I Foto: Regina Gehlisch
Weserwirtschaftsforum: Frau Gehlisch, danke, dass Sie sich für den Weserwirtschaftsforum Zeit nehmen. Warum brauchen junge Menschen einen Interessenverband?
Regina Gehlisch: Die Notwendigkeit eines Interessenverbands für junge Menschen ist heute wichtiger denn je, denn ihre Interessen sind schon lange im politischen
Prozess unterrepräsentiert. Der demografische Wandel zeigt deutlich: Der Anteil älterer Menschen an der wahlberechtigten Bevölkerung wächst stetig. Das bedeutet, dass deutlich mehr ältere Wählerinnen über politische Entscheidungen abstimmen können als junge Menschen. Ihre Themen werden von Parteien deshalb häufiger in den Mittelpunkt politischer Programme und Maßnahmen gesetzt. Dies ist z.B. an den rentenpolitischen Vorhaben der voraussichtlich neuen Bundesregierung zu sehen. Die Anliegen jüngerer Wählerinnen und vor allem auch derer, die noch gar nicht wählen dürfen, erhalten somit politisch weniger Gewicht. Zudem haben junge Menschen oft weniger direkte Möglichkeiten, sich an politischen
Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Viele politische Gremien sind nicht altersgemäß besetzt, Jugendbeteiligung ist oft freiwillig oder symbolisch – nicht
verbindlich und strukturell verankert. Die allgemeine Beteiligung der Bevölkerung ist
nicht jugendgerecht und schafft Barrieren, die junge Menschen nicht überwinden können. Dadurch werden Entscheidungen getroffen, die junge Menschen betreffen, ohne dass sie mitentscheiden können. Aus diesen Gründen ist es wichtig, dass wir uns als Interessenvertretung junger
Menschen gegenüber den Entscheidungsträger*innen deutlich positionieren, aber auch, dass wir als Ansprechpartner für sie bereitstehen.
Weserwirtschaftsforum: Der demografische Wandel war schon in den 70er Jahren vorherzusehen. Nun stehen Deutschland und Niedersachsen vor dieser Herausforderung. Nach jeder Bundestagswahl steigen die Schulden zu Lasten der jüngeren Generation. Warum tut sich unsere Gesellschaft beim Thema Generationengerechtigkeit so schwer?
Regina Gehlisch: Der Blick auf Schulden zu Lasten der jüngeren Generation wird meistens ausschließlich auf die Kreditverschuldung bezogen und anhand dessen davon gesprochen, dass keine neuen Schulden zu Lasten der nachfolgenden Generationen gemacht werden sollten. Diese Sicht verdeutlicht bereits, dass das Thema Generationengerechtigkeit ein sehr komplexes Thema ist, denn die Schuldenlast besteht nicht ausschließlich aus einer Kreditsumme, die zurückgezahlt
werden muss. Wesentliche Aspekte einer Generationengerechtigkeit und dem Erbe, das nachfolgende Generationen schultern müssen sind auch Dinge wie marode
Infrastruktur durch mangelnde Investitionen, Verlust der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit durch fehlgeleitete Förderungen oder ausufernde Versorgungsansprüche und Gesundheitskosten durch Geschenke an die älteren Generationen.
Es scheint, als sei unsere Gesellschaft nicht in der Lage langfristige Konsequenzen
eines heutigen Handelns zu verstehen. Das liegt zum einen an der Kurzsichtigkeit von politischen Entscheidungen, wenn diese eher die nächste Wahl oder die
passenden Wahlversprechen im Auge hat, als den Standort in 20 Jahren, aber es liegt auch zum anderen daran, dass fehlender Gemeinschaftssinn zu einem immer höheren individuellen Wohlstand verleitet, der dann nicht im Sinne einer
Generationengerechtigkeit sein kann.
Weserwirtschaftsforum: Im Gegensatz zur Freiheit und Liberalität haben
Extremismus und autoritäres Gedankengut derzeit Konjunktur. Das zeigen die jüngsten Wahlergebnisse. Wie engagiert sich der Jugendring in Niedersachsen für Demokratie und Freiheit bei den Jugendlichen?
Regina Gehlisch: Der Landesjugendring unterstreicht die Rolle jugendverbandlicher
Arbeit, um nachhaltige Impulse für eine demokratische und selbstbestimmte Jugend zu setzen. Jugendverbänden sind Werkstätten der Demokratie und wir machen uns dafür stark, sie abzusichern. Die bestehenden Zusammenhänge zwischen abnehmendem oder nicht
vorhandenem ehrenamtlichem Engagement und demokratieablehnenden
Einstellungen verdeutlichen, dass es wichtig ist, Räume und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich ehrenamtlich engagiert werden kann. Wir unterstützen die ehrenamtlich Engagierten, indem wir z.B. für Jugendleiter*innen praktische
Handreichungen und Expertise bereitstellen. In den Jugendverbänden werden nicht nur Räume geschaffen, in denen sich ehrenamtlich Engagierte durch das Übernehmen von Verantwortung entwickeln können, sie sind in erster Linie vor allem Räume für junge Menschen, um zusammen zu kommen. Damit schaffen Jugendverbände wichtige Angebote gegen Einsamkeit, womit aktiv dem Erstarken gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
entgegengewirkt wird. Zusammen mit den Aspekten außerschulischer Bildung und
auch der politischen Bildung, die Jugendverbände vermitteln, schaffen es unsere Gruppen vor Ort, junge Menschen weniger empfänglich für demokratiefeindliche Positionen zu machen. Die unmittelbare Beteiligung an der Ausgestaltung des Zusammenseins in Jugendverbänden ermöglichen zudem ein Erleben von Selbstwirksamkeit, welches durch keine andere Institution so nachhaltig geschehen kann.
Weserwirtschaftsforum: Es wird viel über Frauenförderung in der Wirtschaft gesprochen. Gerade in den Vorständen bei den DAX-Unternehmen. Wäre die deutsche Wirtschaft dynamischer, innovativer und wettbewerbsfähiger, wenn man
ausnahmsweise auch mal über Jugendförderung in der Wirtschaft reden würde? Brauchen wir mehr junge Talente in den Vorständen und Aufsichtsräten?
Regina Gehlisch: Jugendförderung in der Wirtschaft sollte eigentlich kein
ungeklärtes Thema sein, denn jeder Konzern, der sich langfristig am Markt behaupten will, sollte verstehen, wer die Fach- und Führungskräfte der Zukunft sind.
Abseits der Personalgewinnung kann der Blickwinkel junger Menschen auf die Unternehmensführung gewinnbringend sein. Es sollte nicht verkannt werden, dass mit zunehmendem Alter bei allen von uns die Innovationswilligkeit abnimmt und wir uns schnell in Mustern verfangen, die eher ein Weiter-so als ein Jetzt-so begünstigen. Wenn wir aber über die Arbeit von Vorständen und Aufsichtsräten sprechen, müssen wir auch beachten, dass die Arbeit in diesen Positionen oft konträr zu heutigen Ansprüchen an die Lebensphasen junger Menschen und insbesondere junger Familien ist. Wenn junge Talente und damit weniger voreingenommene Blickwinkel auf die Unternehmensführung gewünscht sind, müssen die Arbeitsbedingungen in den Führungsebenen dafür auch offen gestaltet sein. Es darf nicht dazu führen, dass Innovationsgeist oder Arbeitskraft früh aufgerieben werden und dann die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen leiden und die Potentiale verschwendet werden.
Weserwirtschaftsforum: Was wünschen Sie sich von der Politik und von den Senioren-Lobbyverbänden? Und wie sieht Ihre Zukunftsvision für die Jugend hierzulande aus?
Regina Gehlisch: Von der Politik wünsche ich mir, dass sie es ernsthaft verfolgt, während sie von mehr Jugendbeteiligung redet und dass sie Politik nicht als Wahlgeschenke an die älter werdende Wählerinnenschaft, sondern als Politik für eine zukunftsfähige Gesellschaft versteht. Von Senioren-Lobbyverbänden wünsche
ich mir eine höhere Bereitschaft, gemeinsam mit jungen Menschen Probleme anzusprechen und für Fragen der sozialen Gerechtigkeit zusammen die Stimme zu erheben. Wie sie sich inhaltlich positionieren, möchte ich mir dabei gar nicht wünschen, denn in unserem pluralistischen System haben alle Verbände nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Vielfalt von Interessen zu kommunizieren, dabei sind die Interessen von Senor*innen genauso wichtig wie die von jungen Menschen. Als Teil meiner Zukunftsvision für die Jugend ist mir besonders wichtig, dass ein
selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliches Mitgestalten möglich ist. Zentrale Visionen sind echte Jugendbeteiligung auf allen politischen Ebenen, soziale Gerechtigkeit und gleiche Teilhabechancen – unabhängig von (sozialer) Herkunft, Weltanschauung und Geschlecht. Jugendverbände sollen als Räume der Persönlichkeitsentwicklung, Demokratiebildung und Vielfalt gestärkt handeln können. Vielfalt, Inklusion und der Einsatz gegen Diskriminierung sind Grundpfeiler der Vision für eine offene, solidarische Gesellschaft.
Weserwirtschaftsforum: Frau Regina Gehlich, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Joel Cruz