Er bringt den Mut
zum Machen mit
Bezahlkarte für Flüchtlinge, Prozesse in den Verwaltungen vereinfachen und warum er die deutsche Überlebende des Holocausts Margot Friedländer, die sich als Zeitzeugin engagierte, zitiert. Wir sprachen mit dem Göttinger Landrat Marcel Riethig.
Marcel Riethig I Göttinger Landrat I Foto: Landkreis Göttingen/Kimmel
Weserwirtschaftsforum: Herr Landrat Riethig, danke, dass Sie sich für das Weserwirtschaftsforum Zeit nehmen. Sie sind seit 2021 im Amt. Was haben Sie bis heute für den Landkreis Göttingen erreicht?
Marcel Riethig: Seit 2021 haben wir im Landkreis Göttingen einiges erreicht. Wir sind Vorreiter bei der Digitalisierung der Kommunen in Niedersachsen, wir investieren so viel wie noch nie in die Bildung und haben mit dem Neubau der Feuerwehrtechnischen Zentrale das größte Einzelinvestitionsprojekt des Landkreises mindestens in den letzten 30 Jahren angeschoben. Der Klimasparbrief ist umgesetzt und bietet die Möglichkeit, dem Klimaschutz vor Ort zusätzlichen Schwung zu verleihen. Gleichzeitig haben wir gemeinsam mit Versorgern und Kommunen eine Gesellschaft gegründet, die Windräder und PV-Anlagen projektiert und betreibt, damit die volle Wertschöpfung vor Ort bleibt. Unsere Baubehörde ist inzwischen in weiten Teilen ein Paradebeispiel in der Kreisverwaltung für moderne Dienstleistungen. Im Sozialen haben wir einen guten Stand bei der Integration von Geflüchteten erreicht und Leistungen zur Unterstützung von Familien mit niedrigerem Einkommen ausgebaut. Angetreten bin ich mit dem Wunsch eines guten Miteinanders unseres Landkreises mit der Stadt Göttingen sowie unseren Städten und Gemeinden. Ich meine, dass wir auch da spürbare Fortschritte erzielt haben.
Weserwirtschaftsforum: Fast überall fehlt Geld. Kommunen und Gemeinden müssen sparen. Da tut der Fachkräftemangel aus dieser Sicht eigentlich gut, weil man viel Personalkosten einspart. Wie kommt der Landkreis Göttingen mit Geldmangel und Fachkräftemangel zurecht?
Marcel Riethig: Der Fachkräftemangel ist kein Segen, sondern eine riesige Herausforderung, auch für die Kommunen. Wir spüren die Auswirkungen deutlich, vor allem im technischen und sozialen Bereich. Und dauerhaft unbesetzte Stellen verursachen volkswirtschaftlich höhere Kosten, als dass sie Geld einsparen. Unbesetzte Stellen führen auch zu schlechteren Dienstleistungen für die Kundinnen und Kunden unserer Verwaltung. Daher setzen wir den konsequenten Digitalisierungskurs fort und wollen Prozesse, wo möglich, weiter vereinfachen. Letztlich brauchen wir einen wirksamen Bürokratieabbau, wenn wir Leistungseinschränkungen durch unbesetzte Stellen dauerhaft vermeiden wollen.
Weserwirtschaftsforum: In den Medien liest man, dass der Landkreis Göttingen die Bezahlkarte für Flüchtlinge eingeführt hat. Welche Vorteile hat die Bezahlkarte aus Ihrer Sicht?
Marcel Riethig: Wir haben die Bezahlkarte im letzten Sommer wieder eingeführt, nachdem der damalige Anbieter, der uns die Bezahlkarte zur Verfügung gestellt hatte, nicht mehr zur Verfügung stand. Die Bezahlkarte hat für alle mehr Vor- als Nachteile. Die Leistungsberechtigten sparen Wege zum Amt, die Verwaltung hat viel weniger Aufwand. Außerdem verhindert die Bezahlkarte den in der Vergangenheit in Einzelfällen beobachteten Missbrauch. Von ideologischen Diskussionen über die Bezahlkarte rate ich ab. Sie gehen an der Sache vorbei. Weder gab es vorher eine massenhafte Zweckentfremdung von Leistungen noch hindert die Karte an der Integration. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten, dass sich die Wiedereinführung der Bezahlkarte bewährt hat.
Weserwirtschaftsforum: Welche Zukunftsvisionen haben Sie für den Landkreis Göttingen? Was können die Menschen von Ihnen erwarten?
Marcel Riethig: Eine politische Zukunftsvision in wenigen Worten zu beschreiben, ist schwierig. Wenn ich meine Vision in einem Satz packen müsste, dann ist das ein Landkreis, der zum Bleiben einlädt. Mein Credo lautet „Miteinander macht’s möglich“. Die Menschen können von mir erwarten, dass ich weiter mit Augenmaß und Haltung arbeite, dass ich zuhöre und Entscheidungen treffe. Eine Verwaltung zu führen bedeutet zu gestalten, nicht zu verwalten. Ich bringe den Mut zum Machen mit.
Weserwirtschaftsforum: Stellen Sie sich vor, Sie halten eine Rede vor hunderten Jugendlichen und Schulklassen. Welche Botschaft haben Sie an die jungen Menschen, die ihren Karriereweg und Lebensweg noch vor sich haben?
Marcel Riethig: Meine Botschaft beinhaltet Herz und Verstand. Das Herz: „Seid Menschen“, hat Margot Friedländer gesagt. Beurteilt niemanden nach seinem Schulabschluss oder Gehaltscheck, begegnet allen mit Würde. Der Verstand: Habt den Mut zum Machen. Die Zukunft gehört den Mutigen. Fehler passieren – lernt daraus und seid nicht ängstlich.
Weserwirtschaftsforum: Herr Landrat Riethig, ich bedanke mich für das angenehme Gespräch.
Das Gespräch führte Joel Cruz