Die Zukunftskraft
der Vielfalt
Oft wird in Diskussionen über alternde Bevölkerung, Fachkräftemangel und die Abwanderung von Jugendlichen das Thema Vielfalt übersehen. Dabei kann mehr sichtbare Diversity insbesondere im öffentlichen Dienst für mehr Zugehörigkeitsgefühl, Engagement für das Land und Identität sorgen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist wichtiger denn je.
Gelebte Vielfalt: Die Bundeswehr steht für Vielfalt, Zugehörigkeit und Teilhabe – und damit für zentrale Aspekte gelungener Inklusion, wie auch die Studie „Bunt in der Bundeswehr?“ aus dem Jahr 2020 zeigt (Symbolbild).Bundeswehr/Jana Neumann
Na klar sind wir nicht die USA, Kanada oder Australien und manchmal ist das auch gut so. Ich bin immer wieder positiv überrascht darüber, wie wir im Ausland wahrgenommen werden – nämlich nicht so pessimistisch, wie es zum größten Teil hierzulande betrieben wird. Der Anteil der Bevölkerung mit sogenannten Migrationshintergrund in der Bundesrepublik liegt 2023 bei 29,7 Prozent. Dies bedeutet, dass fast jeder dritte Einwohner in Deutschland entweder selbst zugewandert ist oder mindestens einen Elternteil hat, der nicht in Deutschland geboren wurde. Im Bundestag lag der Anteil der Abgeordneten mit Migrationshintergrund insgesamt bei 11,6 Prozent. Das heißt, 73 von 630 Abgeordneten haben einen Migrationshintergrund im neuen Bundestag. Gemeint sind sowohl die Menschen, die bei der Geburt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hatten, als auch jene mit mindestens einem Elternteil, auf den das zutrifft. Aktuell weist die Fraktion der Grünen mit 20 Prozent den höchsten Anteil an Abgeordneten mit Migrationshintergrund auf. Dahinter folgen die Linke mit 18,8 Prozent und die SPD mit 17,5 Prozent. Deutlich niedriger liegt der Anteil bei CDU und CSU, wo er bei 6,3 Prozent liegt – allerdings immerhin etwas höher als 2021, als lediglich 4,1 Prozent der Unionsabgeordneten einen Migrationshintergrund hatten. Die CDU sieht sich zwar gerne als Volkspartei, aber dann sollte sie auch die fast 30 Prozent des Volkes in Ihrer Kandidatenaufstellung präsentieren? Den geringsten Anteil verzeichnet diesmal die Fraktion der AfD mit 5,9 Prozent – ein Rückgang gegenüber dem vorherigen Bundestag, in dem der Wert noch bei 7,2 Prozent lag. Im neuen Bundestag ist der Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund seit den 90er Jahren erstmals stagniert. Der Deutsche Bundestag sollte ein Spiegel des deutschen Volkes sein, mit fast 30 Prozent Migrationshintergrund. Mit nur 11.6 Prozent Abgeordneten mit Migrationshintergrund präsentiert dieser Deutsche Bundestag nicht 100 Prozent die vielfältige deutsche Gesellschaft.
Viel Zuwanderung, wenig Fachkräfte?
Wir sind ein Einwanderungsland und dennoch fehlt es an Fachkräften und Nachwuchs. Selbst Hochqualifizierte machen nach wie vor einen großen Bogen um Deutschland und wandern eher in klassische Einwanderungsländer wie Kanada oder Australien. Die Gründe dafür sind eigentlich bekannt. Welche Einwanderer nach Deutschland kommen darüber lässt sich sicherlich streiten. Und ob diese Einwanderer auch der deutschen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur dienen, darüber kann man ebenfalls diskutieren. Die Gesellschaft in Deutschland ist vielfältiger denn je. Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, soziale Hintergründe und Lebensentwürfe leben und arbeiten zusammen. Doch diese Realität spiegelt sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, insbesondere in öffentlichen Institutionen, Verwaltungen und der Privatwirtschaft, noch nicht ausreichend wider. Dabei ist Vielfalt nicht nur ein Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklung – sie ist eine Chance und ein Erfolgsfaktor.
Vielfalt in den Verwaltungen: Repräsentation der Gesellschaft
Öffentliche Institutionen wie Behörden, Schulen, Gerichte, Polizei oder die Bundeswehr sind zentrale Träger des Staates. Sie sind für alle Menschen eines Landes da – unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Weltanschauung – so sollte es zumindest sein. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist es entscheidend, dass sie die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln. Denn eine vielfältige Verwaltung kann besser auf die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen eingehen, Vorurteile abbauen und das Vertrauen in staatliche Institutionen stärken. Trotzdem sind Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderung in öffentlichen Institutionen oft unterrepräsentiert – besonders in Führungspositionen. Initiativen wie das „Nationale Aktionsprogramm Integration“ oder die „Charta der Vielfalt“ zeigen, dass es Bemühungen gibt, diese Lücken zu schließen. Es braucht jedoch mehr als Absichtserklärungen: gezielte Förderprogramme, diskriminierungsfreie Einstellungsverfahren und eine inklusive Verwaltungskultur sind erforderlich.
Verwaltungen als Vorbild und Gestalter
Wirft man einen Blick bei den Kommunen, so besteht noch Handlungsbedarf. Kommunale Verwaltungen nehmen eine besondere Rolle ein, weil sie am nächsten an den Bürgern sind. Städte und Gemeinden können als Vorreiter agieren, wenn sie Vielfalt aktiv leben – etwa durch barrierefreie Dienstleistungen, mehrsprachige Angebote oder die gezielte Anwerbung von Mitarbeitenden mit interkultureller Kompetenz. Einige Städte wie Berlin oder Frankfurt am Main haben bereits Diversity-Beauftragte eingesetzt und setzen gezielte Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Antidiskriminierung um. Wichtig ist dabei auch die interne Weiterbildung: Mitarbeitende in Verwaltungen müssen für unbewusste Vorurteile (Unconscious Bias) sensibilisiert werden, um Diskriminierungen in der täglichen Arbeit zu vermeiden.
Vielfalt in der Bundeswehr
Seit der Aussetzung der Wehrpflicht setzt die Bundeswehr verstärkt auf freiwilliges Personal und fördert aktiv Vielfalt in ihren Reihen. Aktionen wie der Diversity-Tag (#FlaggefürVielfalt) zeigen ihr Engagement für ein offenes Arbeitsumfeld. Vielfalt wird als Chance gesehen, um personell zukunftsfähig zu bleiben. Die Führungs- und Organisationskultur wird daher kontinuierlich in diese Richtung weiterentwickelt. Ein Best Practice also.
Fazit: Vielfalt als Stärke verstehen
Eine vielfältige Gesellschaft ist Realität – es liegt an öffentlichen Institutionen, Verwaltungen und Unternehmen, diese Realität auch strukturell abzubilden. Vielfalt ist kein Hindernis, sondern eine Stärke. Sie erweitert Perspektiven, verbessert Entscheidungen und schafft gerechtere Strukturen. Sie erweitert den Horizont und kann zu neuen Impulsen, Ideen und Innovationen führen. Wer Vielfalt ernst nimmt, stärkt nicht nur das eigene Team oder die eigene Institution, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Text: Joel Cruz